Bewusste Sprache als Beziehungspflege im NATURsalon

Eine Friseurin unterhält sich angeregt mit einer Kundin und sieht sie direkt an

Im NATURsalon berätst du deine Kunden ganzheitlich, bist für sie, ihre Haut und Haare da. Doch wie pflegst du deine Beziehung zu ihnen? Wie wir in unserem atento Winter 2024 dargestellt haben, ist bewusste Sprache ein mächtiges Werkzeug, das immense Kraft hat. Dieses Thema ist so spannend, dass wir Mechthild von Scheurl-Defersdorf, die Gründerin und Geschäftsführerin des LINGVA ETERNA Instituts für bewusste Sprache, interviewt haben. Sie erzählt von ihren Erfahrungen und gibt NATURfriseuren praktische Tipps für einen achtsamen Umgang mit Kunden, da sie sich selbst auch gerne im NATURsalon verwöhnen lässt und weiß, was ihn auszeichnet.

CULUMNATURA: Liebe Mechthild, wir von CULUMNATURA achten sehr darauf, wie wir uns ausdrücken, doch du bist als langjährige Sprachwissenschaftlerin eine Expertin auf diesem Gebiet und hast 1999 LINGVA ETERNA® ins Leben gerufen. Was also macht den bewussten Umgang mit Sprache aus?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: eine Frau mittleren Alters mit roten Haaren

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Ich schaue auf etwas, das die meisten Menschen beim Sprechen nicht bewusst wahrnehmen: Ich lenke den Blick auf die Struktur der Sprache. Damit schaffe ich ein neues Bewusstsein für den täglich gebrauchten Wortschatz, die Grammatik, den Satzbau und für die Wirkung der Sprache.

CULUMNATURA: Hast du ein konkretes Beispiel für uns?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Ja. Viele Menschen verwenden gewohnheitsmäßig das Wort „müssen“, denn sie sind damit aufgewachsen. In einem Friseursalon ist zum Beispiel häufig der Satz „Ich muss noch schnell die Farbe mischen“ zu hören. Als Sprachwissenschaftlerin mache ich den Menschen bewusst, dass sie diese Phrase nutzen und bespreche mit ihnen, wie sie sich anfühlt, wie sie wirkt, wie sie emotional ankommt und eventuell sogar, was sie körperlich mit ihnen macht. Ich schaffe ein Bewusstsein dafür, dass Wörter spürbar sind – sowohl emotional als auch körperlich. Die Frage ist: Was geschieht, wenn wir miteinander sprechen, ohne dass es uns bewusst ist?

CULUMNATURA: Es lässt sich also sagen, dass die Wörter, die wir verwenden, unser Denken, Handeln und die persönliche Stimmung prägen. Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Jemand, der gewohnheitsmäßig sagt „ich muss“, merkt das überhaupt nicht. Der sagt das bestimmt 50- bis 100-mal am Tag, oder denkt und fühlt es zumindest. Damit macht er sich selber und auch – ohne es zu wollen – seiner Umgebung Druck. Er wirkt gestresst und so, als ob er gerade überfordert wäre oder keine Lust hätte, das zu machen, was er tut. Das hat einen Einfluss auf die Kommunikation, da der Gesprächspartner dieses „müssen“ nur vorbewusst wahrnimmt und interpretiert. Mit dem „müssen“ geht in jedem Fall eine irritierende emotionale Botschaft einher, die der Sprecher so nicht sagen will, und die der Hörer dennoch aufnimmt. Das Wort „müssen“ ist eines, das viele Menschen aus reiner Gewohnheit sagen, doch das können sie leicht ändern, sobald es ihnen bewusst ist.

CULUMNATURA: Wie kann eine (NATUR-)Friseurin den Satz „Ich muss noch schnell die Farbe mischen“ besser formulieren?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: In diesem Satz gibt es abgesehen vom „muss“ noch ein Wort, auf das ich aufmerksam mache. Mit dem „schnell“ gibt die Friseurin das Signal, dass das Mischen der Farbe eine ganz leichte Sache ist, die nur kurz dauert. Der Kunde könnte deshalb befürchten, dass die Friseurin dabei ein bisschen oberflächlich ist und vielleicht etwas zu viel von der einen oder der anderen Farbe nimmt. Deshalb empfehle ich zu sagen: „Ich mische jetzt die Farbe und dann komme ich wieder.“ Es gibt allerdings noch andere Arten von „müssen“. Zum Beispiel: „Ich muss corpus HAUT- UND HAARWÄSCHE nachbestellen.“ Stattdessen könnte die NATURfriseurin sagen, dass sie das Produkt am nächsten Tag nachbestellen wird. Alle zukünftigen „ich muss“ können einfach mit dem Futur ersetzt werden, also mit „ich werde“. Das ist ein guter Trick, um „müssen“ zu vermeiden. „Ich muss noch schnell die Farbe mischen“ vermittelt eine Atmosphäre von Hektik und Oberflächlichkeit und das passt überhaupt nicht zum NATURfriseur.

CULUMNATURA: Was passiert mit Menschen, wenn sie dauerhaft das Wort „müssen“ meiden?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Dann fühlen sie viel, viel weniger Stress und die Atmosphäre, zum Beispiel im Salon, gewinnt an Qualität. Das eigene Denken beruhigt sich und es ist möglich, an einem Tag mehr zu erledigen als früher, da die Menschen aufmerksamer sind und bewusster Pausen machen. Das dient auch der eigenen Gesundheit und dem eigenen Wohlbefinden. Zudem ändert sich die Haltung und die Art, dem Leben zu begegnen. In einem NATURsalon können die Kundinnen – neben einem neuen Haarschnitt – auch Anregungen für ihr eigenes Denken und Sprechen mitnehmen. Zu meiner großen Freude gehört eine gestiegene Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körper zum Besuch beim NATURfriseur dazu.

CULUMNATURA: Das klingt wundervoll. Und deshalb ist der bewusste Umgang mit Sprache bedeutsam?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Genau! Jedes Wort hat eine Wirkung. Es gibt eine Sprache, die aufbaut, nährt, eine gute Stimmung verbreitet und für eine angenehme Beziehung zu Kunden und innerhalb des Teams sorgt. Und es gibt eine Sprache, die Kraft kostet und Missverständnisse begünstigt. Wenn wir uns bewusst machen, wie wir sprechen, können wir eine klare und wertschätzende Kommunikation führen, die unser Zusammenleben und unsere Zusammenarbeit viel leichter macht.

CULUMNATURA: Wie einfach ist es denn, seine Alltagssprache umzustellen?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Das Weiterentwickeln der eigenen Sprache kann jederzeit beginnen. Ich halte es für gut, sich einen sprachlichen Aspekt für eine Woche vorzunehmen, also zum Beispiel sieben Tage lang die Aufmerksamkeit auf das Wort „schnell“ zu legen und es bewusst zu meiden. Wenn ich mit meinem Fortschritt zufrieden bin, kann ich mich etwa auf die „drei A“ konzentrieren. Sie stehen für das namentliche Ansprechen, für das Anschauen und eine Atempause. Rede ich jemanden an, tue ich das am besten, indem ich ihm in die Augen schaue, seinen Namen nenne und nach diesem eine kurze Pause mache. Mein Tipp ist, eine Woche lang ein Wort zu meiden, eine Woche lang etwas aufzubauen – wie die „drei A“ – und dann wieder einen Begriff zu umgehen. Die Alltagssprache umzustellen, ist ganz einfach, wenn wir immer nur einen Aspekt in den Blick nehmen.

CULUMNATURA: Kannst du einer NATURfriseurin noch andere Möglichkeiten zur Umsetzung nennen?

Friseurin berät Kundin bezüglich ihrer Haarfarbe mithilfe eines bunten Tuches

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Eine NATURfriseurin kann während ihrer Arbeit zweimal pro Tag für 15 bis 20 Minuten bewusst auf ihre Sprache achten. Würde sie es länger am Stück machen, würde sie sich verkrampfen. Daher empfehle ich eine begrenzte Zeitspanne. Es ist allerdings wichtig, für eine Weile dranzubleiben und sich mindestens ein halbes Jahr damit zu befassen. Dann merkt jeder, dass der bewusste Umgang mit Sprache angenehm ist und sich positiv auf die Stimmung sowie das Gesprächsklima auswirkt. Die Kunden sind viel geduldiger, verständnisvoller und freundlicher. Der Anfang liegt allerdings bei uns selber. Und noch ein Hinweis: Der erste Eindruck prägt und der letzte Eindruck bleibt. Darum ist es so bedeutsam, was der NATURfriseur der Kundin am Anfang des Kontaktes, etwa beim Betreten des Salons, sagt und wie er sich verabschiedet. „Schönen Nachmittag noch“ sollte zu „Ich wünsche dir noch einen schönen Nachmittag“ werden. Ich als – in diesem Fall – NATURfriseurin wünsche meinem Kunden etwas. Personalpronomen (Anm.: ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie) sind wertvoll, denn sie fördern eine gute Beziehung und sind leicht einzubauen.

CULUMNATURA: Was sagst du zur Sprache im Gesundheitsbereich?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Unser Wortschatz rund um das Thema Körper und Gesundheit ist interessant. Hier gibt es viele Wörter und Phrasen, die ich als sinnverletzend betrachte. Dazu gehört etwa der Wutausdruck „Ich bekomme einen dicken Hals“. Dieses Symptom gibt es beispielsweise bei Schilddrüsenerkrankungen. „Ich kriege gleich einen Herzkasperl“ meint eigentlich einen Herzinfarkt und „Ich kann es nicht mehr hören“ erinnert an Schwerhörigkeit. Der Ausdruck „Ich habe die Nase voll“ hat wiederum einen Einfluss auf die Neigung, einen Schnupfen zu bekommen. Wir können also auch in der Sprache auf unsere Gesundheit achten.

CULUMNATURA: Du erzählst so begeistert von der Kraft der Sprache. Warum beschäftigst du dich mit ihr? Was fasziniert dich so sehr daran?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Vor 30 Jahren habe ich entdeckt, dass sich manche Menschen in der Gestaltung ihres Lebens sehr, sehr viel leichter tun als andere. Mir ist aufgefallen, dass diese Personen anders sprechen als die restlichen 90 Prozent der Gesellschaft. Es gibt eine Sprache, mit der Erfolg und Zusammenarbeit signifikant leichter ist als mit der üblichen Ausdrucksweise. Das hat mich neugierig gemacht und so wollte ich wissen, was diese Menschen anders machen. Ich habe untersucht, was für diese Art der Kommunikation typisch ist und daraus einen Sprach- und Kommunikationskurs für die anderen 90 Prozent entwickelt. Ich wünsche auch ihnen, dass sie wissen, wie sie sich das Leben leichter und schöner machen können! Diese Sprache geben sie dann gleich an ihre Kinder weiter.

CULUMNATURA: Und auf welche typischen Merkmale bist du gestoßen, als du die Sprache der restlichen zehn Prozent erforscht hast?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Ich habe gemerkt, dass diese Menschen nur vollständige Sätze machen. Sie sagen etwa „Ich bin gleich wieder da“ und nicht „Bin gleich wieder da“, wie es die meisten anderen tun. Wenn das „ich“ weggelassen wird, hat das einen Einfluss auf die Ausstrahlung, da es oberflächlich wirkt und den Anschein erweckt, keinen Kontakt haben zu wollen. Sage ich es hingegen dazu, wird mich mein Gegenüber als zugewandter, professioneller und empathischer wahrnehmen. Dieses „ich“ ist für alle Friseure im Umgang mit ihren Kunden sehr wichtig, besonders jedoch für NATURfriseurinnen. Sie haben oft Kundinnen, die mit einer bestimmten Situation zurechtkommen müssen: Haarausfall, Unverträglichkeiten und so weiter. Erst, wenn sich die Betroffenen zum Beispiel mit ihrem Haar angefreundet habe, können sie herausfinden, was es braucht und schimpfen nicht mehr darüber. Mit der richtigen Haltung und Kommunikation können NATURfriseure sie dabei unterstützen.

CULUMNATURA: Du hast gemeinsam mit dem Arzt und Neurowissenschaftler Dr. Theodor von Stockert das Konzept von LINGVA ETERNA® und die gleichnamige Methode entwickelt. Was kannst du uns über eure Methode erzählen?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Die Methode LINGVA ETERNA® (Anm.: dt. = die ewige Sprache) befasst sich mit der Wirkung der Sprache auf die individuelle Ausstrahlung, das Denken und das Erleben eines Menschen. Sie fördert die persönliche Entwicklung und eine grundlegend friedfertige, wertschätzende Kommunikation. Das Besondere an unserer Methode ist, dass wir einen rein sprachlichen Ansatz haben. Wir achten auf die Botschaft. Wenn die Botschaft eindeutig ist, dann wird die Kommunikation leicht. Jedes Wort hat eine Wirkung! Alle anderen Kommunikationskonzepte sind psychologisch ausgerichtet. Auch sie haben ihre Berechtigung und ihre Stärken. LINGVA ETERNA® zeichnet sich durch den rein sprachlichen Ansatz aus und erweitert die Möglichkeiten. Die drei tragenden Säulen dieser Methode sind die eigene Präsenz, die Klarheit der Botschaft und eine grundlegende Wertschätzung für jeden Gesprächspartner. Diese innere Haltung gilt auch für jeden, der nicht selbst beim Gespräch dabei ist. Die drei Werte lassen sich durch einen bewussten Umgang mit der Sprache signifikant stärken. Wir machen die gewohnte Ausdrucksweise bewusst und leiten unsere Seminarteilnehmer und Leser an, ihre Wirkung zu erkennen und zu erleben. Ebenso achten wir auf den Aufbau der Gespräche. Hierfür nutzen wir unser LINGVA ETERNA® Kommunikationsmodell mit seinen fünf Schritten zur erfolgreichen Kommunikation.

CULUMNATURA: Was zeichnet euer Kommunikationsmodell aus?

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Theodor von Stockert hat dieses Kommunikationsmodell entwickelt. Er betrachtet die Kommunikation als einen Prozess und hat herausgefunden, dass eine gelungene Kommunikation fünf Schritte hat. Schritt 1 ist die Intention: Was möchte ich dem Kunden sagen? Schritt 2 ist die Ansprache: Ich spreche den Kunden gemäß der „drei A“ an. Schritt 3 ist der Rahmen: Ich erkläre, warum ich eine Frage stelle, oder warum ich jemanden zu etwas auffordere. In der üblichen Kommunikation fehlt der Rahmen oft. Doch er ist wichtig, da er es dem Gesprächspartner erleichtert, sich auf den Sprecher einzulassen und ihm gedanklich zu folgen. Auch der Rahmen fördert eine gute Beziehung. Schritt 4 ist der Diskurs: Erst hier beginnt das eigentliche Gespräch. Schritt 5 ist schließlich der Abschluss. Das LINGVA ETERNA® Kommunikationsmodell gibt es übrigens auch als Spiel. Es ist eine praxisnahe Anleitung für eine gelungene Gesprächsführung im Alltag.

CULUMNATURA: Abgesehen vom bewussten Umgang mit Sprache hast du mit CULUMNATURA eine weitere Gemeinsamkeit, denn du bist selbst Kundin bei einer NATURfriseurin.

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: Das ist richtig. Eine Kundin von mir ist NATURfriseurin und über sie habe ich NATURkosmetik in der Friseurbranche kennengelernt. Seitdem sind mir das Bürsten mit der CULUMNATURA Bürste aus Wildschweinborsten und satuscolor Pflanzenhaarfarben sehr wichtig. Ich bin glücklich, dass ich Pflanzenhaarfarbe auf meinen Haaren habe: Es fühlt sich wundervoll an und mein Haar ist sehr lebendig und schön. Außerdem passen meine Besuche beim NATURfriseur zu meiner Haltung, einen achtsamen Umgang mir selbst gegenüber zu haben.

CULUMNATURA: Liebe Mechthild, wir danken dir vielmals für das nette und ausführliche Gespräch!

 

Buchcover "Sieben Tage achtsam Sprechen" von Mechthild von Scheurl-Defersdorf

Tipp von CULUMNATURA:

Interessierten NATURfriseuren empfehlen wir das kreative Mitmach-Heft „Sieben Tage achtsam sprechen“ von Mechthild von Scheurl-Defersdorf (ISBN: 978-3-451-60108-8). Es bietet für eine Woche sieben verschiedene Übungen, die einen ersten Einblick geben, wie leicht und wirksam bewusste Sprache im Alltag umgesetzt werden kann. Vielleicht möchtest du deinen Kundinnen auch ein Leseexemplar in deinem NATURsalon zur Verfügung stellen.

 

Fotos:

Titelbild: © Marion Gartler

Mechthild von Scheurl-Defersdorf: © LINGVA ETERNA®

Beratung im NATURsalon: © Rita Newman

„Sieben Tage achtsam sprechen“: © LINGVA ETERNA®