Boden und Ernährung – Interview mit Martin Grassberger

Mann mittleren Alters blickt leicht lächelnd in die Kamera

Interview mit UNIV.-PROF. DR. MED. UNIV. MAG. DR. RER. NAT. Martin Grassberger

Facharzt für Gerichtsmedizin, Biologe/Anthropologe, ÖÄK Diplom Ernährungsmedizin, ÖÄK Diplom Umweltmedizin, Facharbeiter Landwirtschaft, Referent, Buchautor, Universitätslektor

CULUMNATURA: Martin, durch deine Expertise weißt du gut, wie es um unsere Gesundheit bestellt ist. Und mit der sieht es in Österreich leider nicht rosig aus. Warum?

Martin Grassberger: Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es sind viele Faktoren, die dazu beitragen, die wesentlichen sind sicher die Ernährung und die mangelnde Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung. Das sieht in anderen Ländern etwas anders aus, in denen bereits in der Vorsorgemedizin erkannt wurde, dass die Ernährung und der Lebensstil wichtig sind. Österreich gibt insgesamt leider zu wenig für Präventionsmedizin aus und das wenige Budget fließt großteils in Vorsorgeprogramme, über die versucht wird, Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Doch zu diesem Zeitpunkt gibt es sie bereits. Die Krankheiten können auf diese Weise also nicht vermieden werden.

CULUMNATURA: Du sprichst als einen der wesentlichen Faktoren die Ernährung an. Essen wir Österreicher generell zu ungesund?

Martin Grassberger: Die Zusammensetzung der täglichen Ernährung ist bei vielen Menschen mangelhaft. Wir Österreicher haben eine weniger pflanzenbasierte Kochkultur. Sie ist eher Fleisch-, Teigwaren- und Süßspeisen-lastig. Außerdem werden zu viel Fertignahrungsmittel verzehrt.

CULUMNATURA: In deinem letzten Buch scheibst du über das Mikrobiom. Was hat es damit auf sich? Wo ist es zu finden? Und warum ist es für unsere Gesundheit so wichtig?

Martin Grassberger: Das Mikrobiom ist ein modernes Forschungsgebiet, in dem monatlich neue Erkenntnisse erzielt werden. Was wir in den letzten 10 – 15 Jahren gelernt haben, ist sehr spannend, weil das Mikrobiom in und auf uns überall vorkommt und unser ständiger Begleiter ist – seit Millionen von Jahren. Wie sich zeigt, ist es für die Gesundheit und Gesunderhaltung des komplexen Systems Mensch von großer Bedeutung. Das Darmmikrobiom ist beispielsweise ein sehr großes Ökosystem in unserem Inneren und setzt sich aus Bakterien, Pilzen, Viren und verschiedenen Einzellern zusammen. Dieses Darmmikrobiom will richtig ernährt werden. Es liebt pflanzliche, vitalstoffreiche Ernährung. Natürlich spielen bei einer gesunden Ernährung auch Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente usw. eine wichtige Rolle. Das Mikrobiom produziert auch Stoffwechsel- und Abfallprodukte, die für uns entweder vorteilhaft, neutral oder schädlich sein können. Bei einer pflanzlichen Ernährung sind diese Stoffwechselprodukte meistens förderlich und antientzündlich. Bei einer fleischdominanten Ernährung entstehen Abfallprodukte, die z. B. Gefäßerkrankungen hervorrufen können. Wenn man sich ausgewogen ernährt, sprich viel pflanzliche Ernährung und tierische Produkte in kleinerem Ausmaß zu sich nimmt, dann halten die positiven und negativen Wirkungen die Waage. Eine einseitige Ernährung ist weniger optimal.

CULUMNATURA: Das Mikrobiom befindet sich also IN und AUF uns, das bedeutet, auch auf unserer Haut. Macht es deiner Meinung nach einen Unterschied, ob wir synthetische oder natürliche Pflegeprodukte für Haut und Haar verwenden?

Martin Grassberger: Das macht auf jeden Fall einen Unterschied. Dazu muss vorneweg Folgendes erklärt werden: Bisher hat sich die Wissenschaft stark auf das Darmmikrobiom konzentriert. Mittlerweile wissen wir jedoch auch, dass z. B. das Mundhöhlenmikrobiom ebenso eine wichtige Rolle für die Gesundheit unseres gesamten Organismus spielt. Bis jetzt wurde davon ausgegangen, dass die Haut lediglich 2 m² Fläche unseres Körpers einnimmt. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, denn wenn wir uns die Haut unter dem Mikroskop ansehen, entsteht durch diverse Hautanhangsgebilde, Drüsen usw. eine viel größere Oberfläche – in etwa sogar 25-30 m², weil es auf mikroskopischer Ebene zahlreiche Nischen in der Haut gibt. Und diese Nischen werden gerne von Mikroorganismen bewohnt. Je höher die Biodiversität der mikrobiellen Fauna der Haut ist, desto gesünder ist sie. Bei vielen Hauterkrankungen ist dieses Mikrobiom geschädigt – wobei gesagt werden muss, dass noch nicht ganz geklärt ist, ob das die Ursache oder Folge der Krankheit ist. Wenn wir jetzt zugrunde legen, dass die Haut mit einer Oberfläche von 25-30 m² ebenfalls eine große Kontakt- und Austauschfläche besitzt, also ein Zuhause für viele Mikroorganismen bietet, dann wird auch die Haut und das Hautmikrobiom in Zukunft als wichtiger Gesundheitsfaktor gesehen werden. Somit kann gesagt werden, dass synthetische Pflegeprodukte – vor allem die, die Konservierungsmittel enthalten – einen negativen Einfluss auf die Mikroorganismen unserer Haut haben. Das konnte bereits belegt werden. Denn die enthaltenen Konservierungsstoffe wirken gegen das bakterielle Wachstum und das ist wiederum schädlich für das Mikrobiom – sowohl im Darm, als auch auf der Haut. Tendenziell beeinträchtigen natürliche, biologische Pflegeprodukte das Mikrobiom nicht oder viel weniger als die meisten synthetischen Produkte. In welchem Ausmaß, kommt individuell auf den Menschen und das jeweilige Produkt an. Was ebenfalls bedacht werden sollte: In der Haut hat auch unser Immunsystem Kontakt mit den Mikroorganismen. Je vielfältiger das Mikrobiom auf der Haut ist, desto resistenter sind wir gegen Mikroben, die uns schaden können.

CULUMNATURA: Wo findet sich diese Vielfalt des Mikrobioms?

Martin Grassberger: Das größte Reservoir für Mikroben ist der Erdboden. Aber natürlich sind sie auch überall dort, wo wir mit unserer Umwelt in Kontakt kommen, wie z. B. mit Pflanzen, Tieren und Menschen.

CULUMNATURA: Was passiert, wenn wir unsere Böden über Jahre hinweg auslaugen oder mit Spritzmitteln behandeln?

Martin Grassberger: Wenn die Böden an Diversität verlieren bzw. eine mikrobielle Veränderung erleben, schadet dies auch der Vielfalt des Mikrobioms. Das heißt, es ist wichtig, die Vielfalt zu erhalten. Je vielfältiger ein Mikrobiom ist, desto stabiler und resistenter ist es auch. Wenn man es dauernd mit antibiotischen oder desinfizierenden Substanzen quält, dann verliert es an Diversität. So fördert man, dass Krankheitserreger überhandnehmen und entzündliche Erkrankungen entstehen können.

CULUMNATURA: Viele konventionelle Hautpflegeprodukte werben mit desinfizierender Wirkung. Sind wir Menschen in Europa generell viel zu hygienisch geworden?

Mann mittleren Alters blickt ernst in die Kamera

Martin Grassberger: Das ist eine gute Frage… Auf der einen Seite ist Hygiene eine wunderbare Sache, in der wir in den letzten 100 Jahren viel dazugelernt haben. Hygiene bei der Essenszubereitung, bei der Trinkwasserqualität oder auf Toiletten beispielsweise waren gute Erfindungen. Auf der anderen Seite ist etwas Wahres dran, dass wir im Zuge unserer Zivilisation immer weniger Kontakt zu den Mikroben unserer Umwelt haben. Da spielt ein gewisser Reinlichkeits- und Desinfektionswahn eine nicht zu unterschätzende Rolle. Um es salopp zu sagen: Es darf schon auch ein bisschen mehr Dreck sein! Durch unseren modernen Lebensstil und die Tatsache, dass mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung in Städten lebt, kommen wir immer weniger mit der NATUR in Berührung. Der tägliche Kontakt zum Boden, zu Lebensmitteln, Tieren und anderen Menschen (Stichwort: Single-Haushalt) ist nicht mehr so gegeben, wodurch es zu weniger Mikroorganismen-Austausch kommt.

CULUMNATURA: Sollten wir deswegen viel mehr Kontakt zur NATUR suchen – für unsere physische wie auch mentale Gesundheit?

Martin Grassberger: Genau! Das Mikrobiom ist ein Aspekt, jedoch ist auch unsere mentale Gesundheit wichtig. Etliche Studien zeigen, wie sich zahlreiche Parameter, die man messen kann (z. B. Blutdruck, Blutzucker usw.), in relativ kurzer Zeit bei einer NATURexposition – sprich einem Waldspaziergang – verbessern. Die Ursachen sind vielfältig, das reicht von den Mikroorganismen bis hin zu pflanzlichen Verbindungen, die sich wohltuend auf unseren Körper und Geist auswirken. Es wird sogar vermutet, dass die elektrische Ladung der Erde eine Rolle spielt. Dazu gibt es eine spannende Studie, die zeigt, dass das vegetative Nervensystem ausgeglichen wird, wenn der Körper geerdet ist. Es kommt dabei offenbar zum Elektronenaustausch, der sich positiv auf den Körper auswirkt. Das ist nicht verwunderlich, denn der Mensch ist elektrisch. Moleküle und Zellen haben ein elektrisches  Potenzial: auch die Nerven und die Oberfläche der Erde. Dadurch könnte es zum Elektronenaustausch kommen, wenn wir mit nackten (feuchten) Füßen am Boden laufen.

CULUMNATURA: Das heißt, wenn wir viel mit elektrischen Geräten arbeiten, z. B. mit Smartphones, am PC etc., sollten wir den Austausch mit der NATUR suchen, um uns sozusagen zu entladen?

Martin Grassberger: Ja, das ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Umweltmedizin. Wir sind vor allem in Städten durch die Smart-Home- und Kommunikationstechnologien permanent elektromagnetischen Feldern ausgesetzt. Über die Auswirkungen wissen wir noch zu wenig; sie beginnen erst, sich abzuzeichnen. Es kann aber zu Schlaf- und anderen Gesundheitsstörungen kommen – manche Menschen sind stärker betroffen, manche weniger. Das ist jedoch ein Teil unserer fortschreitenden Zivilisation. Unsere Welt hat sich in den letzten 100 Jahren komplett verändert, Nahrungsmittel waren damals noch völlig unverarbeitet. Diese wären allerdings für jedes Lebewesen – wie schon seit Milliarden von Jahren – das Gesündeste. Wenn man ein Lebewesen aus seinem gewohnten Habitat herausreißt und es anderen Einflüssen aussetzt, kommt es zu Störungen und Krankheiten. Das heißt, wenn wir uns artgerecht ernähren und leben würde dies schon sehr viel in der Vorsorgemedizin erfüllen. Was bedeutet, dass wir momentan einen Lebensstil gewählt haben, der für uns gar nicht so gesund ist, wie wir vielleicht glauben. Das ist jetzt jedoch nicht gleichzusetzen mit einem „Zurück-in-die-Steinzeit“. Es gibt zahlreiche Errungenschaften der Moderne, die wunderbar sind. Unser Wohlstand und die Langlebigkeit sind noch nie so hoch gewesen wie heute. Es geht jedoch um den verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen.

CULUMNATURA: Vor allem ein verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen der NATUR?

Martin Grassberger: Ja! Bio und Nachhaltigkeit alleine sind mittlerweile zu wenig. Die moderne Welt und die Industrialisierung mit all ihren Nebeneffekten haben dazu geführt, dass die Natur, vor allem die Böden, aber auch unsere Gesundheit, zu leiden begonnen hat. Nachhaltigkeit bedeutet grundsätzlich, keinen weiteren Schaden anzurichten, jedoch weiterzumachen wie bisher. Doch das ist meiner Meinung nach zu wenig. Man müsste wieder regenerieren und aufbauen und die Bedingungen des Lebens fördern. Mehr zurückzugeben als zu nehmen. Das können wir mit einem Bankkonto vergleichen: Wer immer mehr abhebt, als er einzahlt, wird das irgendwann bereuen. Deswegen sollten wir unser Minuskonto ein bisschen aufbessern. Dazu müssen wir beginnen, anders zu denken. Wie ein Gärtner, der den Garten nicht selbst erschafft, sondern für gute Bedingungen sorgt, damit die Natur sich dort entfalten kann. Wir Menschen sind sozusagen die Gärtner der Erde und sollten für gute Voraussetzungen sorgen, damit sie sich erholen kann.

 

Buchtipp: „Das unsichtbare Netz des Lebens“

Buchcover des Werkes "Das unsichtbare Netz des Lebens"

Wie Mikrobiom, Biodiversität, Umwelt und Ernährung unsere Gesundheit bestimmen. Erfolgsautor Martin Grassberger zeigt neue Wege auf, wie sich der Mensch vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen kann.

448 Seiten
ISBN: 9783701735358

 

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